Donnerstag, 31. Juli 2014

Warum "Dann mach's doch selbst!" nicht immer die Antwort sein kann

Dieser Satz fällt früher oder später in fast jeder Diskussionen über Kleidung in Größen, die nicht jeder Laden abdeckt oder als Antwort darauf, wie mensch sich einkleiden kann und fair einkaufen möchte, sich aber Fairtrade nicht leisten kann. Wer selbst näht, kennt die Antwort darauf sicher bereits, für alle anderen drösele ich das jetzt mal relativ praxisnah (zur Erinnerung: Ich lerne Modedesign und dabei auch schneidern.) auf.

Zunächst mal: Nein, es ist nicht "total einfach" nähen zu lernen. Nein, es geht nicht mal eben so nebenher. Ein paar schiefe Nähte in Stoff zu bekommen, mag für viele noch kein großes Hindernis sein. Ein fertiges, tragbares Kleidungsstück herzustellen, das aus mehreren Teilen zusammen gesetzt wird, ist allerdings eine ganz andere Sache. Es erfordert Übung, es erfordert das Aneignen von Wissen, das Erlernen verschiedener Techniken. Mitunter braucht es Probestücke und nicht alle Fehler können korrigiert werden, das heißt es passiert durchaus, dass am Ende nur ein hübscher Putzlappen heraus kommt. Nähen frisst Zeit, die muss also erst mal vorhanden sein, neben Arbeit/Familie/alltäglichen Verpflichtungen.

Der Punkt, an dem ich fast schon lachen muss, ist, wenn Menschen erzählen, dass es günstig(er) sei zu nähen. Nichts, aber auch gar nichts am nähen ist günstig. Das lässt sich am besten zeigen, indem eins sich anschaut, was für den Prozess so gebraucht wird.

Grundlage ist eine Nähmaschine. Mein kleines Ikea Maschinchen hat 80€ gekostet. Ich will ein Tshirt aus Stretchstoff (z.B. Jersey) nähen? Geht damit nicht wirklich, ich brauche eine Overlock-Maschine  kostet so ab 200€ (bis zu 600-700€ für Haushalts(!)geräte, ich habe noch keine, u.a. weil ich sie mir bisher nicht leisten konnte). Schneiderpuppe? Meine (nicht mal größenverstellbar) lag bei 80€, verstellbare die nicht gleich auseinander bzw umfallen kosten auch schnell mal 200€. Stoffschere? Maßband? Stecknadeln? Hatte ich zum Glück schon vorher günstig gekauft, 15€ für ein Nähset von Ikea. Dafür ist die Schere aber auch in der Mitte stumpf umd schwergängig. Anderes Modell? Zwischen 15-50€. Taillenmaßband 6€. Brauchte dann leider doch noch andere Stecknadeln, wieder 5€ weg.

Für die Ausbildung brauchten wir zum Üben jede Menge Baumwollstoff, der war günstig, 5€ der Meter, insgesamt 75€, 5m Futterstoff 45€, 5m Vlieseline (zum Verstärken von Revers etc.) 20€. Reißverschlüsse wie wir sie für unsere Übungen und Übungsröcke brauchen? Ab 2,50€ das Stück im Laden (Nahtverdeckte mehr), günstig online ergattert und 9€ für 50 Stück bezahlt, natürlich dafür nicht so hochwertig. Mein Bügeleisen hat nur 3€ gekostet, taugt aber auch nicht viel. Das Bügelbrett war ein Geschenk, Glück gehabt, beides braucht es nämlich auch zum Nähen.

Als Beispiel für einen ganz simplen Rock, den ich für mich nähen wollte: Stoff der mir gefällt, Futter und Gummiband gekauft -> 40€ weg und noch nichts genäht. Wenn ich ein Schnittmuster brauche, kommen da nochmal ca. 10€ drauf. (Download ist billiger erfordert aber Internetzugang, einen Drucker und viel Zeit.) Modische Stoffe mit aktuellen Farben/Mustern sind teuer. Beispiel: Ich wollte mir eine  Leggings mit Galaxyprint nähen. Der entsprechende Stoff in meinem Stoffladen kostete 70€ pro Meter, das hatte sich also direkt wieder erledigt. (Und? Schon mal eine popelige Leggings für über 70€ im Laden gesehen?)

Selbst wenn ich für all das jetzt das Geld ausgegeben habe, weiß ich immer noch nicht, wie die Nähmaschine funktioniert, wie der Faden eingefädelt wird, wie ich die obere und untere Fadenspannung einstellen muss, welchen Stich ich brauche, wie ich die Teile zusammen bringe. Ich muss auf den Fadenlauf achten, wenn ich den Stoff mithilfe des Schnitts zurecht schneide. (Auf dem Boden, weil es viel Platz braucht, oder auf einem sehr großen Tisch, den ich auch erst mal brauche und den Platz dazu.)

Übertritt, Untertritt, Kellerfalte, Doppelsteppstich - um diese Begriffe zu kennen und einordnen zu können braucht es einen Nähkurs, oder zumindest entsprechende Bücher, oder Intenetanleitungen, in die ich mich dann erst einlesen muss. Das erfordert alles Zeit, Ressourcen, Internetzugang und natürlich auch Geld.

Für den Anfang ist es einfacher fertige Schnittmuster zu benutzen, die natürlich wieder etwas kosten und was besonders hilfreich ist: Das Größenproblem gibt es hier auch. Der Großteil der Schnitte hört, wie die handelsübliche Konfektionsware, in den 40er Größen auf.

Da ich momentan ja selbst nähen lerne, kann ich sagen, dass es Gold wert ist eine Person zu haben, die dabei ist, Fragen beantworten und Hilfestellungen geben kann. Manchmal sind Fehler eben nicht so offensichtlich und es kostet dann einige Nerven heraus zu finden was falsch lief. Alleine zu Hause wäre ich nie so weit gekommen und dort habe ich auch keine hochwertige Bügelstation mit verschiedenen Hilfmitteln, keine Bügelpresse, keine Industrienähmaschine mit der es sich natürlich viel besser arbeiten lässt als mit meinem Ikea Maschinchen (kostet allerdings auch locker das 20-fache).

Wir hatten übrigens in der ersten Woche ein reines Nähpraktikum, in dem wir nur die Maschinen ausprobiert und verschiedene Nähte und Säume geübt haben, sonst nichts. Weil das ja alles so easy ist.
Eigene Schnitte erstellen? Dazu haben wir ein eigenes Fach, eigentlich sogar zwei. Erfordert einen Schneiderwinkel (22€) und jede Menge(!) Seidenpapier, dass wir in der Schule bekommen, das im Laden aber natürlich kostet. Schnitte zu erstellen ist eine fummelige Arbeit, die es erfordert mit den entsprechenden Maßen auszurechnen, wie das Kleidungsstück auszusehen hat.

Auf dieses Thema komme ich heute übrigens im Zuge einer Diskussion über bewussten Kosum auf Twitter, mit dem Aufruf, keine "Billigmode" zu kaufen. Dass dies allerdings nicht für alle einfach so funktioniert haben viele dann klar gestellt. Irgendwann wurde dann vorgeschlagen doch selbst zu nähen, was in diesem Zusammenhang nicht wirklich Sinn macht. Nightlibrarian Anna brachte mich dann auf die Idee das alles auch mal finanziell aufzudröseln. Was etwas schwierig ist, da meine Ausbildung ja nicht nur aus Nähunterricht besteht und das somit nicht ganz zu trennen ist. Außerdem kommt noch "Kleinkram" dazu wie Kreidestifte, Boxen für besagten Kleinkram, Garn, Nähnadeln, Knöpfe, Fadenauftrenner etc. pp dazu, den ich wirklich nicht mehr genau benennen kann. Es summiert sich allerdings und ich denke, es wird trozdem klar, dass selber nähen keine generelle und schon gar keine günstige Alternative ist um sich einzukleiden.
Warum es generell nicht so einfach ist "Billigmode" zu boykottieren hat Puzzlestücke in ihrem Blog sehr gut erklärt.

Edit: Bei Anna findet ihr einen Schwester-Post über Aufwand/Kosten des Strickens verfasst und dabei auch einen Punkt erwähnt, den ich hier gar nicht bedacht habe, nämlich den Stundenlohn, der beim Handarbeiten anfällt. Außerdem hat sie sich die Mühe gemacht und die Twitter-Diskussion noch ausführlicher wieder gegeben.

Danke auch an Susanna, die das hier in den Kommentaren ebenfalls angemerkt hat. teiledesganzen hat sehr schön die einzelnen Arbeitsschritte aufgelistet, es lohnt sich sehr das ebenfalls zu lesen.

Sonntag, 20. Juli 2014

We could be heroes

Dieser Blog ist jetzt ziemlich genau vier Jahre alt. Damals war meine Intention, wie die vieler anderere Bloggerinnen, die ich seit Jahren kenne und schätze, zu zeigen dass dicke Frauen auch modisch und selbstbewusst sein können und nicht in Sack und Asche gehen müssen. Vor allem, dies auch anderen dicken Frauen zu zeigen und Mut zu machen und letztlich auch mir selbst das zu beweisen. Plus Size Modeblogs können diese Funktion erfüllen können ohne dabei in einen aktivistisch/akademischen Kontext eingebettet zu sein oder diesen als Voraussetzung zu haben. Das mag ich an Modeblogs auch so gern, es gibt etwas und kann stärken und empowern, ohne dass die Leserschaft sich dafür anstrengen müsste. Außerdem gibt es natülich (meistens) tolle Klamotten zu sehen an großartigen und kreativen Menschen.

In den letzten 1-2 Jahren ist die Plus Size Bloggerszene in Deutschland ziemlich gewachsen, so sehr, dass ich teilweise etwas den Überblick verloren habe und längst nicht mehr alle Blogs kenne. Wir werden mehr und wir werden auch mehr wahrgenommen, sprich, es finden sich immer mehr Firmen, die Kooperationen mit Blogger*innen eingehen wollen. Die sie einladen, ihnen Sachen schicken und für Artikel bezahlen. Nun will ich das gar nicht schlecht reden, denn dies bietet viele Vorteile. Mehr Firmen im Plus Size Bereich bringen für uns alle mehr Möglichkeiten einzukaufen, denn die Auswahl ist gerade in Deutschland immer noch mehr als deprimierend. Wenn also Modemarken uns wahrnehmen ist das erst mal eine gute Sache, auch wenn ich mir persönlich noch mehr Mut wünschen würde, wenn es darum geht was sie anbieten. Bloggerblase hin oder her, ich glaube einfach nicht, dass die Mehrheit der Dicken sich nicht anders kleiden würde, wenn sie wirklich die Möglichkeit dazu hätten. Also vor allem offline. In Geschäften in der Innenstadt.

So okay diese Kommerzialisierung auch ist und so sehr ich es verstehen kann, wenn Menschen auch gerne Geld mit dem verdienen möchten, das sie lieben, so sehr habe ich in letzter Zeit doch das Gefühl, dass es immer mehr oder teilweise hauptsächlich nur darum geht. Nur noch Outftis, nur noch nett in die Kamera lächeln, nur noch Markennamen einstreuen, nur noch auf gratis Kram aus sein. Wenn Blogger*innen sich in Gruppen verabreden wer wann welche Firma wegen einer Kooperation anschreibt, ist das natürlich erst mal in Ordnung, es ist nicht mein Ansatz, aber das muss ja auch nicht so sein. Was mich dann tatsächlich stört ist, dass wir doch viel viel mehr tun können als uns und unsere Blogs an Firmen zu verkaufen.

Mir scheint der Ansatz, etwas gegen die furchtbare Überrlegung zu tun, dass Dicke sich schämen und verstecken sollten, nämlich etwas in den Hintergrund zu treten. Eine Überlegung die viele dicke Menschen selbst auch sehr verinnerlicht haben. Mir fehlt einfach der Part, an dem nicht nur in die Kamera gelächelt wird um das neue Kleid zu zeigen, sondern auch mal wütend zu sein über Medien, die Dicke als Lachnummer benutzen. Die tausendste Diätwerbung die mir sagt, ich sei weniger wert oder sexy oder schön, weil ich dick bin. Die vielen kleinen und großen Alltagsdiskriminierungen. Die Annahme, dass Dicke automatisch krank seien oder später auf jeden Fall werden. Die Arroganz das überhaupt auszusprechen und zu denken, dass ich doch gefälligst auch so zu denken habe. Der Irrglaube, dass dicke Menschen sich nicht wohl fühlen und selbst lieben können und die Lüge dass die einfache Formel, mit der das alles auf einmal aufhört abnehmen heißt.

Warum sich kaufen lassen von der Industrie deren eine Hälfte und Produkte andrehen will indem sie uns einredet wir sollten uns schlecht fühlen, während die andere Hälfte Trost durch Konsum bietet? (Der Fairness halber: Ich konsumiere auch und ich konsumiere relativ viel für meine Verhältnisse. Es gibt Firmen die ich mag und mit meinem Geld gerne unterstütze, das heißt aber nicht, dass ich nicht sehe dass dieses System Mist ist und dass ich das so hin nehme.)

Der Punkt an dem ich aussteige ist der, wo wirtschaftliche Interessen über das Hinweisen und Anprangern von Ungerechtigkeiten gestellt werden und dem Versuch den Opfern davon den Rücken zu stärken. Ich weiß, das klingt sehr priviligiert, aber die Fälle in denen ein Modeblog zum Überleben gebraucht und genutzt wird, werden eher die Ausnahme sein.
Es macht mich traurig, wenn ich sehe was für eine großartige Plattform das Internet und Blogs vor allem Minderheiten bieten und welche Macht und Möglichkeiten zur Vernetzung wir bekommen und es dann nur genutzt wird um gratis Klamotten abzustauben.

Wir haben hier die Macht uns zu vernetzen und gegenseitig zu stärken und aufzuklären, warum das einfach so wegwerfen?

(Und wehe es kommt mir jetzt irgendwer damit, dass wir außerhalb unserer Filterbubble eh niemanden erreichen. Zum einen stimmt das nicht und es gibt immer mehr mediale Aufmerksamkeit, zum anderen - selbst wenn das so sein sollte - inwiefern ist es schlecht zu unterstützen und zu stärken wo es geht? Nicht nur als Grundlage tatsächlich ein gesellschaftliches Umdenken  zu bewirken.)

Ich würde mir mehr Kampfgeist wünschen. Mehr Hinterfragen von gesellschaftlichen Strukturen. Mehr Wut.

Das Schlusswort meines Vortrags beim Lady*Fest war übrigens der letzte Satz des Fat Liberation Manifesto. Ich finde ihn hier ganz passend.


FAT PEOPLE OF THE WORLD, UNITE! YOU HAVE NOTHING TO LOSE!


Apropos Lady*Fest: Hier könnt ihr ein Interview mit dem Bermudafunk hören. (Ich war fürchterlich nervös, also seid nachsichtig.)

Edit: Weil ich da gestern vergessen habe, reiche ich hier noch einen sehr guten Artikel nach, mit dem viel sagenden Titel "How Plus-Size Blogging Left Its Radical Roots Behind". Absolut lesenswert.

Mittwoch, 9. Juli 2014

Lady*Fest Heidelberg

Ich vergesse schon seit einer ganzen Weile euch auf das  Lady*Fest HD hinzuweisen. Dort wird es viele tolle Workshops, Vorträge und mehr geben und auch ich werde dort einen Vortrag halten. Meinen allerersten, ich bin schon so aufgeregt....


Darum geht es:


“Es gibt keine falschen Körper – Fat Acceptance und Fat Empowerment”

Dicke Menschen sehen sich täglich und in nahezu jedem Lebensbereich mit Vorurteilen und Diskriminierungen konfrontiert. Sie gelten als faul, weniger attraktiv und es ist in weiten Teilen gesellschaftlich anerkannt ihre Körper und Fähigkeiten abzuwerten.

Abnehmtipps sind das tägliche Brot einer riesigen Industrie, die sehr gut daran verdient Menschen zu verunsichern und ihnen einzureden, dass ihre Körper nicht den Ansprüchen genügen.
Die Fat Acceptance und Fat Empowerment Bewegung setzt an diesen Punkten an und versucht zu informieren, Vorurteile zu widerlegen bzw. abzubauen und vor allem dicke Menschen zu stärken und zu untersützen. Sie will vermitteln, dass es keine guten oder schlechten Körper gibt und das Gewicht nicht den Wert eines Menschen bestimmt.

Samstag 12.7.14, 10-12 Uhr, Breidenbach


Alles weitere findet ihr hier. Es wird für meinen und andere Vorträge auch eine Übersetzung in Gebärdensprache angeboten, weitere Infos findet ihr ebenfalls auf der Lady*Fest-Seite.

Für alle die nicht kommen können wird es eine Aufzeichnung geben. Ob Video oder nur Audio weiß ich leider noch nicht.